Lieferando streicht 2000 Fahrerstellen – Die Kontroverse um den Wandel in der Lieferlogistik

Lieferando streicht 2000 Fahrerstellen – Die Kontroverse um den Wandel in der Lieferlogistik

Lieferando, Teil des niederländischen Mutterkonzerns Just Eat Takeaway, gehört zu den führenden Plattformen für Essenslieferungen in Deutschland. Nun überrascht das Unternehmen mit der Ankündigung, bis Ende 2025 deutschlandweit rund 2.000 festangestellte Fahrerstellen abzubauen – ein Schritt, der nicht nur die Belegschaft, sondern auch Branchenbeobachter aufhorchen lässt. Welche Folgen hat dieser massive Personalabbau? Wie reagieren die Betroffenen, und wie ordnet sich diese Veränderung in die laufende Diskussion über Arbeitsbedingungen und Unternehmensstrategien in der Plattformökonomie ein?

Hintergrund und Gründe für den Stellenabbau

Der geplante Abbau betrifft rund 20 Prozent von Lieferandos gesamter Fahrerflotte – insbesondere die Metropole Hamburg, aber auch kleinere Städte wie Wiesbaden, Lübeck oder Bochum sind stark betroffen. Lieferando möchte künftig in Teilen der Auslieferung stärker mit spezialisierten Subunternehmen zusammenarbeiten und dort deren Fahrerflotten einsetzen. Deutschlandchef Lennard Neubauer begründet den Wechsel mit „rasant und tiefgreifend“ veränderten Marktbedingungen: Der Wettbewerbsdruck steige, und Kunden legten immer mehr Wert auf schnelle, zuverlässige Auslieferung. In kleineren Märkten oder bei wachsendem Auftragsspitzen könne die bisherige Struktur diesen Erwartungen oft nicht mehr genügen (Spiegel).

Bisher sind die meisten Fahrerinnen und Fahrer direkt bei Lieferando beziehungsweise deren Tochterfirmen angestellt – ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber vielen Wettbewerbern, die mit Subfirmen oder auf Selbstständigenbasis arbeiten. Das Unternehmen betont, nur etwa fünf Prozent des gesamten Liefervolumens an Dritte auslagern zu wollen; der Großteil solle weiter von festangestellten Lieferando-Ridern gefahren werden (Süddeutsche Zeitung).

Reaktionen der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit

Die Ankündigung stößt auf erhebliche Widerstände. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befürchten unter anderem eine Verschärfung prekärer Arbeitsbedingungen: Subunternehmen würden häufig zu schlechteren Konditionen beschäftigen, Arbeitszeiten flexibilisieren und das Risiko auf die Fahrer abwälzen. Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen fordern Transparenz und faire Sozialpläne für die Betroffenen. Die Geschäftsleitung hat angekündigt, mit dem Gesamtbetriebsrat zeitnah über einen Sozialplan verhandeln zu wollen. Ziel sei, die Umstrukturierung geordnet und möglichst sozialverträglich bis spätestens Frühjahr 2026 abzuschließen (Handelsblatt).

Brancheninsider und Arbeitsmarktexperten warnen parallel vor einer „Billiglohnoffensive“ und kritisieren, dass der Trend zur Auslagerung auf Subunternehmen zu einer Entwertung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse führen könnte. Kritisiert wird zudem, dass Lieferando seinen Wettbewerbsvorteil – eine eigene, festangestellte Flotte – nun aufgibt, obwohl dies in der Vergangenheit oft als Qualitätsmerkmal hervorgehoben wurde.

Technologische Umbrüche und Markttrends

Die Entscheidung von Lieferando folgt einem übergeordneten Trend: Automatisierung, Künstliche Intelligenz und digitale Plattformen verändern die klassische Logistik fundamental. Anbieter setzen zunehmend auf algorithmische Steuerung von Touren, datengetriebene Nachfrageprognosen und flexible Ressourcenplanung. Die Auslagerung an Subunternehmen dient dazu, diese Flexibilität schneller abzubilden und Personalkosten variabler zu gestalten.

  • Das Outsourcing verringert Fixkosten, erlaubt kurzfristiges Hoch- und Runterfahren der Kapazitäten und verschiebt wirtschaftliche Risiken teilweise vom Auftraggeber auf die Subfirmen.
  • Für Kunden bedeutet der Wandel in der Regel vor allem: noch kürzere Lieferzeiten und potenziell günstigere Preise durch den stärkeren Kostendruck auf die operativen Einheiten.
  • Gleichzeitig verschärft sich der Wettbewerb im sog. „Last-Mile Delivery“-Segment. Unternehmen ohne flexible Strukturen geraten unter stärkeren Kostendruck.

Beispiele und Erfahrungen aus anderen Märkten

Ähnliche Strategien werden bereits von anderen Plattformanbietern wie Uber Eats oder Bolt Food verfolgt und sind international weit verbreitet. In Deutschland galt Lieferando bislang als vergleichsweise sozialverantwortlicher Akteur, der Festanstellung und Tarifbezahlung versprach. Das Pilotprojekt mit Subunternehmen in Berlin habe laut Unternehmensangaben aber gezeigt, dass auch über externe Partner hohe Qualitäts- und Sozialstandards erreichbar seien. Gewerkschafter äußern allerdings Zweifel daran, dass solche Modelle im Massengeschäft standhalten – insbesondere wenn Preisdruck und Margenerosion steigen.

Fazit & Ausblick

Der geplante Stellenabbau von 2.000 Fahrerjobs bei Lieferando markiert eine Zäsur für die Plattform. Der Vorteil: Lieferando kann bei sich ändernden Marktbedingungen schneller und kostengünstiger reagieren, Flexibilität und Effizienz steigen – und der Service wird so potenziell für Kunden zuverlässiger, insbesondere in schwer planbaren Märkten. Auf der anderen Seite droht eine Erosion von Arbeitsstandards und der Verlust sicherer sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Langfristig stellt sich die Frage, ob der Imagegewinn aus Festanstellung und sozialer Verantwortung durch Kostenvorteile aufgewogen werden kann.

Erwartbar ist, dass weitere Anbieter diesen Weg einschlagen werden. Für die Wirtschaft bringt das flexiblere Kostenstrukturen; für Beschäftigte hingegen droht mehr Unsicherheit – es sei denn, Politik und Gewerkschaften entwickeln einheitliche Standards für faire Arbeitsbedingungen in der Plattformökonomie. Mittelfristig wird die Branche daran gemessen, ob Servicequalität, Wettbewerb und soziale Verantwortung tatsächlich miteinander vereinbar bleiben.

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