Deutsche Industrie unter Druck: Schwache Rohstoffnachfrage belastet Wirtschaft und Produktion
Die deutsche Industrie befindet sich in einer kritischen Phase. Die Nachfrage nach Rohstoffen sinkt kontinuierlich, während gleichzeitig die Industrieproduktion schrumpft. Was bedeutet diese Entwicklung für Investoren und die Gesamtwirtschaft? Die jüngsten Daten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) zeigen ein beunruhigendes Bild: Die Inlandsförderung mineralischer Rohstoffe ist auf einen neuen Tiefststand von 475 Millionen Tonnen gefallen – ein Rückgang von 59 Millionen Tonnen gegenüber dem Vorjahr. Innerhalb von nur fünf Jahren ist die inländische Rohstoffproduktion um etwa ein Drittel geschrumpft.
Das Ausmaß der Krise: Zahlen, die alarmieren
Die Rohstoffkrise in Deutschland ist kein vorübergehendes Phänomen, sondern Teil eines strukturellen Wandels. Die Importmenge von Rohstoffen ist um 2,8 Prozent gesunken und beträgt nunmehr 288 Millionen Tonnen. Dies signalisiert nicht nur eine schwache inländische Nachfrage, sondern auch eine gedämpfte globale Konjunktur, die deutsche Unternehmen in ihren Expansionsplänen bremst.
Besonders dramatisch ist die Entwicklung bei Energierohstoffen. Kohle, Öl und Gas verzeichneten erhebliche Rückgänge. Die Braunkohleförderung sank um 10 Prozent auf 92 Millionen Tonnen, während die Erdgasförderung um knapp vier Prozent auf 4,7 Milliarden Kubikmeter zurückging. Interessanterweise zeigten Metalle und Nichtmetalle im Vergleich zu 2023 einen leichten Anstieg – ein schwacher Trost angesichts der Gesamtsituation.
Die inländischen Schlüsselrohstoffe – Sand, Kies und Natursteine – erreichten nur noch 211 Millionen Tonnen, was einem Rückgang um ein Viertel gegenüber 2020 entspricht. Diese Materialien sind fundamental für die Bauwirtschaft und das Infrastrukturgeschäft, zwei Säulen der deutschen Wirtschaft.
Ursachenanalyse: Warum die Nachfrage einbricht
BGR-Vizepräsident Volker Steinbach identifiziert die konjunkturelle Schwäche als Hauptursache für den Nachfragerückgang. Doch hinter dieser vereinfachten Diagnose verbergen sich komplexere wirtschaftliche Mechanismen. Vier Faktoren spielen eine entscheidende Rolle:
- Hohe Zinssätze: Die restriktive Geldpolitik der Zentralbanken macht Investitionen teurer und hemmt die industrielle Expansion
- Anhaltende Inflation: Erhöhte Lebenshaltungskosten reduzieren die Kaufkraft und schwächen die Konsumnachfrage
- Gestiegene Energie- und Transportkosten: Diese erhöhen die Produktionskosten und machen deutsche Waren weniger wettbewerbsfähig
- Strukturelle Wettbewerbsschwäche: Die deutsche Industrie verliert zunehmend an Dynamik im globalen Kontext
Diese multiplen Belastungen wirken synergetisch: Unternehmen investieren weniger, reduzieren ihre Produktion und fahren ihre Rohstoffbestellungen zurück. Ein Teufelskreis entsteht, der schwer zu durchbrechen ist.
Die Industrieproduktion: Ein Jahr der Kontinuität nach oben?
Die Prognose des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) für das Jahr 2025 ist bemerkenswert differenziert. Der BDI erwartet einen Rückgang der Industrieproduktion um 0,5 Prozent – eine Verlangsamung gegenüber dem Minus von 4,8 Prozent im Vorjahr. Dies könnte als Stabilisierungssignal interpretiert werden, allerdings auf sehr niedrigem Niveau.
Seit 2019 ist die Industrieproduktion in Deutschland um fast elf Prozent geschrumpft. BDI-Präsident Peter Leibinger beschrieb die Stimmung in der Industrie als „schlechter als ich es je erlebt habe“ – eine düstere Einschätzung, die durch objektive Daten untermauert wird. Die Kapazitätsauslastung im Maschinenbau lag im Januar bei nur 78 Prozent, deutlich unter dem optimalen Niveau von 85-90 Prozent.
Andere Schlüsselbranchen wie der Fahrzeugbau und die Elektroindustrie verzeichnen ebenfalls spürbare Rückgänge. Der Auftragseinbruch, sowohl aus dem Inland als auch aus dem Ausland, ist der Hauptgrund für diese anhaltende Schwäche.
Externe Risiken: Die Zolldrohung und ihre Konsequenzen
Neben den hausgemachten Problemen drohen externe Schocks. Die drohenden US-Sonderzölle gegen Europa und andere Handelspartner wie China bereiten deutschen Unternehmen erhebliche Sorgen. Der BDI warnt, dass bei Einführung solcher Zölle das deutsche BIP um bis zu 0,5 Prozent schrumpfen könnte – eine zusätzliche Belastung, die die Rohstoffnachfrage weiter dämpfen würde.
Diese protektionistischen Tendenzen würden die Exportabhängigkeit der deutschen Industrie direkt treffen. Deutschland ist eine Exportwirtschaft, und jede Zollschranke reduziert die Absatzchancen deutscher Produkte und damit den Bedarf an inländischen Rohstoffen.
Sektorspezifische Auswirkungen und Investmentimplikationen
Die Rohstoffkrise hat branchenspezifische Auswirkungen. Der Bausektor, der stark von Sand, Kies und Natursteinen abhängig ist, leidet besonders. Unternehmen wie Heidelberg Materials oder HeidelbergCement könnten unter Druck geraten, da die Nachfrage nach Baumaterialien sinkt. Gleichzeitig könnte dies für Recycling- und Kreislaufwirtschaftsunternehmen eine Chance bedeuten.
Im Energiesektor sinkt die Kohle- und Gasnachfrage, was für traditionelle Energieversorger problematisch ist, aber Unternehmen im Bereich erneuerbare Energien begünstigt. Der Rückgang bei Metallen ist hingegen weniger dramatisch, was für die Automobilbranche und den Maschinenbau noch ein schwaches Licht darstellt.
Langfristige Perspektiven: Was erwartet uns?
Die zukünftige Entwicklung hängt von mehreren Faktoren ab. Erstens: Kann sich die deutsche Konjunktur erholen? Strukturreformen und eine Lockerung der Geldpolitik könnten helfen, aber diese Maßnahmen benötigen Zeit. Zweitens: Wie entwickeln sich die globalen Handelsspannungen? Ein Handelskrieg würde die deutschen Exporte weiter unter Druck setzen. Drittens: Wie schnell erfolgt der Übergang zu einer grüneren Wirtschaft?
Die Rohstoffnachfrage könnte mittelfristig durch Investitionen in Infrastruktur, Energiewende und Digitalisierung wieder anziehen. Allerdings müssen diese Investitionen tatsächlich umgesetzt werden. Die deutsche Industrie muss ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis stellen und alternative Rohstoffquellen erschließen, um ihre langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Empfehlungen für Investoren: Welche Aktien gewinnen, welche verlieren
Zu verkaufende oder zu haltende Positionen:
- Traditionelle Rohstoffunternehmen: Unternehmen, die stark in Kohle-, Öl- und Gasförderung tätig sind, sollten gemieden oder reduziert werden. Der Trend ist klar negativ und wird sich nicht schnell umkehren
- Baugrundstoffhersteller: Unternehmen wie Heidelberg Materials sollten kritisch beobachtet werden. Eine Stabilisierung ist nötig, bevor ein Einstieg sinnvoll ist
- Maschinenbau mit schwacher Exportdynamik: Firmen, die stark in Ländern mit Zollunsicherheit verkaufen, sind riskant
Zu kaufende Positionen (mittelfristiges Potenzial):
- Erneuerbare Energien: Solar-, Wind- und Wasserkraftunternehmen profitieren von der Energiewende und könnten langfristig von steigender Rohstoffnachfrage (Lithium, Rare Earths) profitieren
- Recycling- und Kreislaufwirtschaft: Unternehmen, die Sekundärrohstoffe aufbereiten, werden an Bedeutung gewinnen
- Nachhaltige Baustoffe: Grüne Baumaterialhersteller sind besser positioniert für eine zukünftige, nachhaltigere Wirtschaft
- Spezialchemie: Unternehmen, die effizienzsteigernde Materialien entwickeln, können trotz schwacher Rohstoffnachfrage wachsen
Gesamtwirtschaftliche Vor- und Nachteile der Rohstoffkrise
Nachteile:
- Beschäftigungsverluste: Sinkende Produktion führt zu Kurzarbeit und möglicherweise Entlassungen in der Rohstoffförderung und verwandten Industrien
- Investitionsstau: Unternehmen, die Investitionen aufschieben, verpassen möglicherweise Chancen in neuen Technologien
- Regionale Disparitäten: Rohstoffabbauregionen (Nordostdeutschland, Rheinland) könnten wirtschaftlich besonders leiden
- Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit: Deutsche Unternehmen könnten gegenüber globalen Konkurrenten weiter an Boden verlieren
Potenzielle Vorteile:
- Förderung der Kreislaufwirtschaft: Niedrige Rohstoffnachfrage kann als Katalysator für Recycling-Investitionen wirken
- Effizienzgewinne: Unternehmen, die sich unter Druck effizienter organisieren, können langfristig wettbewerbsfähiger sein
- Energiewende-Beschleunigung: Der Druck könnte Investitionen in erneuerbare Energien und grüne Technologien vorantreiben
- Qualitätssteigerung: Weniger Volumen könnte zu mehr Fokus auf hochwertige, spezialisierte Produkte führen
Zukunftsausblick: Wie entwickelt sich das Thema?
Für 2025 und darüber hinaus sind mehrere Szenarien denkbar:
Szenario 1 – Stagnation: Die Rohstoffnachfrage bleibt auf niedrigem Niveau, die Industrieproduktion stabilisiert sich ohne nennenswerte Erholung. Dies ist das wahrscheinlichste Szenario für die nächsten 12-18 Monate.
Szenario 2 – Erholung durch Investitionen: Deutsche und europäische Regierungen verabschieden Konjunkturpakete und Infrastrukturinvestitionen. Dies könnte die Rohstoffnachfrage wieder anziehen, benötigt aber politischen Willen und fiskalische Spielraum.
Szenario 3 – Struktureller Wandel: Die deutsche Wirtschaft transformiert sich radikal: Weniger Rohstoffintensität durch Digitalisierung, mehr Fokus auf High-Tech und Services. Dies wäre positiv langfristig, aber schmerzhaft in der Übergangsphase.
Das wahrscheinlichste Szenario ist eine Mischung aus Stagnation und Wandel. Die Rohstoffnachfrage wird mittelfristig nicht auf das Niveau vor 2019 zurückkehren, aber durch gezielte Investitionen in Infrastruktur und Energiewende könnte eine moderate Erholung stattfinden.
Die deutsche Industrie steht an einem Scheideweg. Die schwache Rohstoffnachfrage ist ein Symptom tieferer struktureller Probleme – hohe Kosten, regulatorische Belastungen, Mangel an Investitionen. Für Investoren bedeutet dies: Vorsicht bei traditionellen Rohstoff- und Industrieunternehmen, aber Chancen in Technologie, Nachhaltigkeit und Effizienzlösungen. Die Unternehmen und Investoren, die diese Transformation nutzen, um sich neu zu positionieren, werden die Gewinner der kommenden Jahre sein. Diejenigen, die auf eine schnelle Rückkehr zu alten Mustern hoffen, werden enttäuscht werden.



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