Strukturreformen im Gesundheitswesen: Bundesregierung plant Primärarztsystem zur Optimierung von Arztterminen
Wie kann Deutschlands Gesundheitswesen die langen Wartezeiten auf Arzttermine nachhaltig verkürzen? Die Bundesregierung plant eine grundlegende Reform, die erstmals strukturelle Veränderungen im Zugang zu Haus- und Fachärzten vorsieht. Die angekündigten Anpassungen stellen nicht nur das Honorarsystem auf den Prüfstand, sondern könnten entscheidende Veränderungen für Anbieter wie Doctolib, Krankenkassen und die Pharmabranche bedeuten. Während Versorger und Health-Tech-Anbieter profitieren dürften, könnten Unternehmen mit Fokus auf individuelle Gesundheitsleistungen oder Privatversicherungsmodelle unter Druck geraten. Anleger sollten jetzt aufmerksam beobachten, welche Player die neue Dynamik für sich nutzen können – und von welchen Aktien abgeraten werden muss.
Das Primärarztsystem als Kern der Strukturreformen
Der zentrale Hebel der neuen Pläne ist die verpflichtende Einführung eines Primärarztsystems. Ab 2026 sollen alle gesetzlich Versicherten grundsätzlich zuerst einen Hausarzt aufsuchen, der dann die weiteren Behandlungsschritte und Termine bei Fachärzten koordiniert. Eine enge Praxisbindung – mindestens für zwölf Monate – wird erwartet. Ausnahmen gelten nur bei Augen- und Frauenärzten sowie bei bekannten chronischen Verläufen. Damit will die Politik unnötige Arztkontakte reduzieren, Überkapazitäten abschöpfen und gezielt die Terminvergabe für dringende Fälle steuern.
Das neue Gesundheits-Versorgungs-Stärkungs-Gesetz (GVSG) und seine Auswirkungen
Mit dem Gesundheits-Versorgungs-Stärkungs-Gesetz (GVSG) stärkt die Regierung die Rolle der Hausärzte: Sie erhalten zukünftig eine höhere Vergütung und deutlich mehr Steuerungspower. Ziel ist, dass Patienten einfacher und schneller Termine erhalten, insbesondere, indem Ärzte administrative Entlastung bekommen und Fallzahlen bei wirklich notwendigen Kontakten steigen. Facharztkontakte sollen optimal gesteuert werden, sodass Spezialisten frei für schwere Fälle sind – aktuell herrscht hier sichtbar Terminknappheit, wie zahlreiche Umfragen zeigen.
- Digitale Buchungssysteme wie Doctolib werden zum Schlüsselakteur. Sie erleichtern die Organisation, priorisieren nach Dringlichkeit und fördern Effizienz. Gleichzeitig profitieren „Digital Natives“ stärker als ältere oder technisch weniger affine Patienten.
- Plattformen wie die Terminservicestellen (TSS) der Kassenärztlichen Vereinigungen bleiben zentrale Anlaufpunkte. Experten merken an, dass die technische Weiterentwicklung und intelligente Steuerung hier noch Nachholbedarf haben.
- Unternehmen, die auf Privatleistung oder Zusatzangebote ausgerichtet sind, könnten Einbußen erleben, da der Gesetzgeber die Gleichstellung zwischen Privat- und Kassenpatienten bei der Terminvergabe forciert.
Kritikpunkte und gesellschaftliche Diskussionen
Immer mehr Stimmen, etwa aus dem Sozialbereich und von Gesundheitsexperten, fürchten, dass Vulnerable Gruppen durch verpflichtende Strukturen abgehängt werden. Die einjährige Bindung an eine Praxis könnte die Patientensouveränität beschränken, während simultan Ärzte- und Fachkräftemangel bei einer Umverteilung der Fallzahlen (weg von chronisch wiederkehrenden Bagatellterminen) zunächst einen Engpass im Management verursachen könnte. Aus Fachkreisen wird immer wieder betont, dass Terminproblematik und Überlastung verschiedene Ursachen hätten, von demografischer Entwicklung bis zu Fehlanreizen im bestehenden Honorarsystem.
Eine Befragung des AOK-Bundesverbandes im Januar 2025 ergab: 53 Prozent der Deutschen wünschen sich einen schnelleren Arzttermin sogar gegen Zusatzbeiträge, und viele akzeptieren eine stärkere Digitalisierung. Klar ist: Privatpatientenvorteile bei Terminvergabe stehen massiv unter Beobachtung. Die SPD fordert sogar eine gesetzlich garantierte Terminfreiheit für alle Kassenpatienten und mehr Transparenz in der Terminvergabe.
Markt- und Wirtschaftsfolgen: Wer gewinnt, wer verliert?
- Gewinner: Plattformen, die die Integration von Buchung, Triagierung und Sektorübergreifender Versorgung digitalisieren – etwa Doctolib oder regionale Terminservicestellen. Hausarztpraxen mit hoher Auslastung und klaren Prozessen. Software-Dienstleister für Ärzte- und Verwaltungssysteme.
- Verlierer: Unternehmen, die von Intransparenz oder Zusatzleistungen jenseits der Regelversorgung profitieren. Einzelne Privatkliniken oder spezialisierte Anbieter könnten unter Druck geraten, da weniger Patienten den Direktzugang nutzen können.
- Zukunftsmarkt: Lösungen für künstliche Intelligenz in der Terminpriorisierung, automatisierte Patientensteuerung sowie Anbieter telemedizinischer Lösungen.
Was Investoren jetzt beachten sollten
- Aktien von Health-Tech-Unternehmen und E-Health-Plattformen sind mittelfristig attraktiv, da der Digitalisierungsdruck steigt und diese Firmen aktiv von der nationalen Infrastruktur profitieren.
- Im Gegenzug drohen Verluste bei Unternehmen, die stark auf Zusatzleistungen, Privatmedizin und exklusive Service-Konzepte setzen – eine intensive Regulierung wird deren Geschäftsmodelle beschneiden.
- Pharmariesen und große Diagnostikanbieter sind weniger stark betroffen, da die Reform auf Steuerung und nicht auf Versorgungsmenge zielt.
Wer langfristig investieren will, sollte Unternehmen vorziehen, die digitale Lösungen für Terminmanagement, Patient Journey und Praxisorganisation entwickeln. Auf breiter Basis wird das Gesundheitswesen digitaler, effizienter – aber die Branchenstrukturen verschieben sich. Die Akzeptanz in der Bevölkerung wird ein entscheidender Faktor sein. Eine gesamtwirtschaftliche Stärkung sowie Kostendämpfung sind wahrscheinlich, während einzelne Anbieter von Zusatzleistungen Einbußen hinnehmen müssen. In den nächsten Jahren dürfte sich ein investitionsfreundliches Klima für Digital Health, Plattformmärkte und vernetzte Versorgung herausbilden – Aktien aus diesem Segment sind aus deutscher Sicht die erste Wahl.
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