Rekordminus der deutschen Kommunen: Bertelsmann-Studie offenbart dramatische Finanzlage
Städte und Gemeinden in Deutschland stehen am Rand einer historischen Zäsur: Knapp 25 Milliarden Euro Defizit verzeichnet der aktuelle Kommunale Finanzreport 2025 der Bertelsmann Stiftung. Wie konnte sich ein derart fataler Fehlbetrag anhäufen und welche Rolle spielen Inflation, Sozialausgaben und die konjunkturelle Schwächephase? Die Zahlen werfen für Bürger, Verwaltung und Wirtschaft gleichermaßen drängende Fragen auf.
Ursachen: Ausgabenexplosion und Stagnation der Einnahmen
Die Analyse der Bertelsmann-Stiftung weist darauf hin, dass nicht der Einbruch bei den Einnahmen im Mittelpunkt der Krise steht, sondern vielmehr das rasante Ausgabenwachstum. Obwohl die kommunalen Einnahmen 2024 noch um fünf Prozent gestiegen sind, explodierten die Ausgaben zeitgleich um rund zehn Prozent (Quelle). Besonders gravierend: Die Personalkosten haben sich innerhalb von zehn Jahren nahezu verdoppelt, und die laufenden Kosten für Dienstleistungen, Büroausstattung sowie Gebäudebewirtschaftung stiegen allein in den letzten zwei Jahren um etwa 25 Prozent. Hinzu kommen immense Sozialausgaben, die vor allem durch Tarifsteigerungen und den wachsenden Bedarf an sozialen Dienstleistungen bedingt sind.
Gleichzeitig stagnieren die Steuereinnahmen wegen der schwachen Konjunktur. Das frühere Einnahmewachstum der Kommunen – zwischen 2014 und 2024 stiegen die kommunalen Steuereinnahmen um 60 Prozent – ist laut Bertelsmann-Studie inzwischen zum Erliegen gekommen. Damit geht ein erheblicher Kaufkraftverlust der Kommunen einher, da die inflationsbereinigten Einnahmen nicht mit den Ausgaben mithalten können (Handelsblatt-Analyse).
Konsequenzen: Eingeschränkte Handlungsfähigkeit und Investitionsstau
Die Bertelsmann-Stiftung unterstreicht, dass das aktuelle Defizit eine Zeitenwende markiert. Mehr als die Hälfte aller öffentlichen Investitionen wird auf kommunaler Ebene getätigt; ein finanzieller Engpass schränkt also nicht nur die Infrastruktur- und Digitalisierungsprojekte ein, sondern bedroht auch sozialen Zusammenhalt und Daseinsvorsorge. Bereits 2023 setzte nach einer längeren Phase von Überschüssen die Trendwende ein: Seither steigt das Minus exponentiell. Prognosen gehen davon aus, dass 2025 sogar ein Rekorddefizit von über 30 Milliarden Euro droht (Euronews).
Kommunen sehen sich zu kurzfristigen Sparmaßnahmen gezwungen: Investitionen werden gestrichen oder verschoben, freiwillige Leistungen wie Freizeit-, Sport- und Kulturangebote zusammengestrichen, Gebühren womöglich erhöht, soziale Leistungen diskutiert. Dies führt zwangsläufig zu einem substanziellen Investitionsstau – mit langfristigen Risiken für Wettbewerbsfähigkeit und Lebensqualität vor Ort.
Fallbeispiel: Steigende Sozial- und Personalkosten
Besonders belastend wirken sich die steigenden Sozialausgaben aus, die etwa für Flüchtlingsunterbringung, soziale Leistungen und Hilfsangebote aufgewendet werden müssen. Viele Kommunen müssen bereits jetzt einen wachsenden Anteil ihres Budgets für Pflichtaufgaben aufbringen, während freiwillige Leistungen zunehmend unter Spardruck geraten. Die Personalkosten steigen unter anderem durch Tarifabschlüsse und den zusätzlichen Personalbedarf in sozialen Einrichtungen.
Diskussion um Reformen und Ausblick
Angesichts der prekären Haushaltslage werden Forderungen nach einer grundlegenden Reform der Kommunalfinanzen lauter. Diskutiert werden unter anderem eine Neuordnung der föderalen Lastenverteilung, ein nachhaltigeres Finanzierungssystem sowie mehr finanzielle Unterstützung durch Bund und Länder. Zudem fordern Experten eine bessere Steuerung der Ausgaben, mehr Digitalisierung und Prozessoptimierung in der Verwaltung.
- Chancen: Im Idealfall könnten gezielte Strukturreformen und Digitalisierung dazu beitragen, Ausgaben zu senken und Prozesse effizienter zu gestalten.
- Risiken: Ohne substantielle Unterstützung droht ein wachsender Investitionsstau, Verlust an Lebensqualität sowie steigende soziale Spannungen.
- Erwartungen: Die nächsten Jahre entscheiden darüber, ob die deutschen Kommunen sich aus der aktuellen Schieflage befreien können oder ob strukturelle Defizite zum Dauerproblem werden.
Die Bertelsmann-Studie ruft eindringlich zu Reformen und Solidarität zwischen Bund, Ländern und Kommunen auf. Sollte ein nachhaltiges Konzept zur Stärkung der kommunalen Finanzen gefunden werden, könnten neue Investitionsspielräume entstehen und so Standortqualität, Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft gestärkt werden – zum Nutzen von Menschen, Kommunalwirtschaft und Gesellschaft. Fehlt der Reformwille, drohen jedoch strukturelle Einschnitte, die alle Lebensbereiche betreffen.
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