Handelsblatt Research Institute warnt vor enttäuschendem Herbst: Deutsche Wirtschaft in der Rezessionsfalle

Handelsblatt Research Institute warnt vor enttäuschendem Herbst: Deutsche Wirtschaft in der Rezessionsfalle

Die aktuell publizierte Herbstprognose des Handelsblatt Research Institute (HRI) schlägt hohe Wellen am Finanzmarkt. Während die Bundesregierung auf Maßnahmen für eine Erholung hofft, warnt das HRI nachdrücklich: Die deutsche Wirtschaft droht 2025 das dritte Jahr in Folge zu schrumpfen – ein historisches Novum der Nachkriegszeit. Bleiben große Industrieplayer wie Siemens oder Volkswagen resilient, oder führen nachgebende Produktionszahlen und schlechte Stimmung zum Kursverfall? Anleger fragen sich, bei welchen DAX-Aktien jetzt antizyklische Chancen bestehen und von welchen Papieren besser Abstand genommen werden sollte.

Der Status quo: Ernüchternde Konjunkturwerte

Das HRI erwartet nach jüngsten Analysen einen Rückgang der realen Wirtschaftsleistung um jeweils 0,3 Prozent für 2024 und 2025. Damit würde das BIP 2025 weiterhin unter dem Niveau von 2019 verharren. Im Kern steht die schwächelnde Industrieproduktion: Die Einkaufsmanagerindizes der Industrie sind zuletzt deutlich unter die Wachstumsschwelle von 50 Punkten gefallen – insbesondere das Verarbeitende Gewerbe steht unter Druck.

  • Die wöchentliche Aktivität der deutschen Wirtschaft, gemessen durch den Bundesbank-Aktivitätsindex, weist seit Mai leichte Rückgänge aus.
  • Das Ifo-Geschäftsklima sank zuletzt von 88,9 auf 87,7 Punkte und signalisierte eine spürbare Stimmungseintrübung quer durch alle Industriebranchen.
  • Laut HRI wird vor allem die Exportdynamik zur Wachstumsbremse: Für dieses Jahr droht der schlechteste gesamtwirtschaftliche Außenbeitrag seit Beginn der Statistik, mit preisbereinigten Exporten lediglich auf Vorkrisenniveau und deutlich höheren Importen.

Viele DAX-Konzerne erzielen zwar auch jetzt Rekordgewinne, oftmals stammen diese Gewinne aber weniger aus made in Germany, sondern aus Wachstumsmärkten im Ausland. Zugleich steht der Abbau von hochproduktiven Industriearbeitsplätzen im Raum – häufig ersetzt durch weniger wertschöpfende Jobs im Dienstleistungssektor.

Treiber der negativen Prognose: Industrie, Außenhandel, Strukturwandel

Die HRI-Analyse verweist deutlich auf mehrere strukturelle Problemfelder:

  • Industrieschwäche: Der Trend hin zu einer Deindustrialisierung Deutschlands verstärkt sich, ausgelöst durch hohe Energiepreise, regulatorischen Druck und eine schleppende Transformation hin zu klimafreundlichen Produktionsmethoden.
  • Fehlende Impulse vom Außenhandel: Während die globale Nachfrage schwach bleibt, profitieren Länder wie USA oder China von stärkerer Binnenkonjunktur und gezielten Investitionsprogrammen. Deutschlands traditionelle Exportstärke reicht unter diesen Vorzeichen nicht mehr aus, um Wachstum zu generieren.
  • Demografie: Die alternde Bevölkerung, der Renteneintritt der Babyboomer und Fachkräftemangel erschweren die Erneuerung der Wirtschaft und drücken auf das Trendwachstum, das das HRI nur noch bei ca. 0,25 Prozent pro Jahr sieht.

Staatsfinanzen sind durch die angekündigten Konjunkturprogramme weiter belastet: Höhere Zinskosten für neue Schulden – 800 Euro jährlich pro Kopf – drohen Handlungsspielräume im Bundeshaushalt deutlich zu reduzieren (Analyse HRI).

Wer profitiert, wer leidet? Gewinner- und Verliererbranchen

Die Märkte reagieren zunehmend selektiv. Die DAX-Konzerne mit starker internationaler Ausrichtung – etwa SAP, Allianz und Deutsche Telekom – können über ihre Auslandsanteile Verluste im Heimatmarkt kompensieren. Industrie- und Automotivwerte wie BASF, Siemens, Volkswagen und Zulieferer geraten hingegen immer weiter unter Druck.

  • Kaufempfehlung: Aktien der SAP, Allianz und Deutsche Telekom, da diese Unternehmen breite Strategien fahren und global wachsen. Dividendenstabilität und weniger direkte Abhängigkeit vom Einbruch der deutschen Industrie sichern Stabilität.
  • Halten/Verkaufen: Investoren sollten in klassische Zykliker wie BASF und Volkswagen vorsichtig agieren. Diese Titel reagieren besonders sensibel auf den Abschwung und drohende Überkapazitäten, insbesondere im Werkstoff- und Automobilsektor.
  • Aufsteiger können sich im Dienstleistungssektor finden, vor allem bei Unternehmen, die digitalisierte Services oder Software bereitstellen.

Die strukturelle Verschiebung von Industrie zu Dienstleistungen schlägt sich bereits auch in der Branchenperformance an der Börse nieder. Dennoch fehlen zukunftsträchtige Startup-Investments und Anreize für eine Transformation insbesondere der kapitalintensiven Old Economy (HRI-Konjunkturausblick).

Langfristige Wirtschaftsauswirkungen und Ausblick

Die Prognosen für die kommenden Jahre bleiben verhalten: Selbst bei leichter Expansion in den Jahren 2026 und 2027 erwarten die Konjunkturforscher nur Wachstumsraten von 0,2 bis maximal 0,4 Prozent je Quartal – also eine Stagnation auf niedrigem Niveau. Klassische Wachstumsimpulse durch den Welthandel dürften ausbleiben.

Zu den potenziellen Vorteilen dieser Entwicklung könnte eine Stabilisierung der Inflation und moderate Lohnabschlüsse zählen; die Arbeitsplatzverluste in der Industrie werden durch neue Dienstleistungsjobs teilweise aufgefangen. Dennoch verbleibt die deutsche Volkswirtschaft auf Jahre hinaus unter ihrem eigentlichen Potenzial.

  • Risiken: Fortgesetzter Bedeutungsverlust der Industrie, weniger Innovationskraft, zunehmender Fachkräftemangel und geringere Staatseinnahmen.
  • Chancen: Strukturwandel und Digitalisierung könnten mittelfristig für eine neue Wachstumsdynamik sorgen – sofern marktwirtschaftliche Reformen und Investitionsanreize folgen.

Gelingt es politisch, Innovationen rascher umzusetzen und Fachkräfte gezielt zu qualifizieren, könnte die Trendwende in der zweiten Hälfte der Dekade gelingen. Ohne substanzielle Strukturreformen droht hingegen ein „verlorenes Jahrzehnt“ für die deutsche Industrie und ihre Aktionäre (Handelsblatt ePaper).

Für Investoren ist aktuell eine breite Diversifikation ratsam: Globale Technologiewerte, Versicherer und Anbieter von Digitalisierungslösungen bleiben attraktiv, während Anleger bei konjunktursensitiven Industrie- und Automobilaktien selektiv vorgehen sollten. Der wirtschaftliche Neustart wird herausfordernd – dennoch bieten sich Gelegenheiten insbesondere mit Blick auf Innovation und Services. Wer heute investiert, sollte sorgfältig Bilanzstärke, Internationalisierung und Zukunftsagenda der Unternehmen bewerten. Der Trend zur Dienstleistungs- und Wissensökonomie wird mittelfristig an Momentum gewinnen.

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