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Wohnraum in Spanien – Krise, Ursachen und gesellschaftliche Folgen

Wohnraum in Spanien – Krise, Ursachen und gesellschaftliche Folgen

Die prekäre Lage der spanischen Wohnungswirtschaft

Spanien erlebt eine dramatische Zuspitzung seiner Wohnungsprobleme, insbesondere in den Ballungszentren. Fast monatlich erreichen die Preise neue Höchststände, während die Zahl der verfügbaren Miet- und Kaufobjekte sinkt. Was steckt hinter der Krise, die nicht nur den Alltag von Millionen Spaniern bestimmt, sondern auch das gesamte soziale Gefüge des Landes ins Wanken bringt?

Immobilienmarkt im Zeichen von Tourismus und Spekulation

Die Herausforderungen in der spanischen Wohnungswirtschaft haben sich vor allem durch den Boom im internationalen Tourismus, Investitionen von Kapitalanlegern und die Ausweitung von Ferienwohnungen verschärft. So sorgen zum Beispiel über 90 Millionen internationale Besucher jährlich und die wachsende Community der sogenannten digitalen Nomaden für einen weiteren Nachfrageschub – besonders in Städten wie Barcelona, Madrid und auf den Kanaren. Deutschlandfunk berichtet, dass sich der Widerstand gegen diese Entwicklung zunehmend in der sonst gastfreundlichen spanischen Gesellschaft bemerkbar macht.

Ein weiterer Faktor: Immer mehr Wohnungen werden über Plattformen wie Airbnb & Co. zeitlich befristet an Touristen statt an Einheimische vermietet. Studien belegen, dass allein diese Umnutzung die Mieten um bis zu sieben Prozent und die Kaufpreise um bis zu 17 Prozent verstärkt hat. In manchen Küstenregionen belegen Ferienwohnungen inzwischen bis zu 50 Prozent des verfügbaren Angebots. Hinzu kommt, dass viele Wohnungen als Renditeobjekte leer stehen oder nur saisonal bewohnt werden, während auf dem Markt akute Knappheit herrscht.

Mangel an sozialem Wohnungsbau und politische Maßnahmen

Beim Thema sozialer Wohnungsbau hinkt Spanien im EU-Vergleich hinterher: Pro Einwohner wurden zwischen 2007 und 2021 lediglich 34 Euro für Sozialwohnungen bereitgestellt, während der EU-Durchschnitt bei 160 Euro liegt. 2024 wurden offiziell nur rund 14.371 Sozialwohnungen gebaut – ein deutlich zu niedriger Wert angesichts der angespannten Lage. Die Regierung hat auf den Druck der Bevölkerung und diverser Mieterinitiativen reagiert und versucht nun, den Ausbau des bezahlbaren Wohnraums zu forcieren sowie strikter gegen Zweckentfremdung und illegale Ferienunterkünfte vorzugehen.

  • Neue Gesetze sollen Ferienwohnungsportale verpflichten, zehntausende illegale Inserate zu entfernen.
  • Diskutiert werden Mietpreisbremsen sowie längere und unbefristete Mietverträge.
  • Große politische Parteien wie PSOE und PP bringen unterschiedliche Akzente ein, stimmen aber darin überein, dass das Baugewerbe belebt und mehr günstige Wohnungen bereitgestellt werden müssen.

Das Ziel ist klar: Wohnraum soll wieder vermehrt Einheimischen und nicht vorrangig Investoren und Touristen zugutekommen.

Sozioökonomische Auswirkungen der Krise

Die Wohnungsnot hat gravierende Folgen für Gesellschaft und Wirtschaft. Insbesondere junge Menschen leiden massiv unter der Situation: In Spanien verlassen Menschen das Elternhaus im Schnitt erst mit über 30 Jahren – damit liegt das Land weit über dem europäischen Durchschnitt. Viele müssen bis zu 70 Prozent ihres Gehalts für Miete oder Immobilienfinanzierung aufwenden, was soziale Mobilität und Familiengründung hemmt. Diese Tendenz wird durch hohe Arbeitslosigkeit und befristete Arbeitsverhältnisse noch weiter verstärkt.

So erklärt der sozialistische Abgeordnete Víctor Camino, die Wohnsituation sei hauptverantwortlich für 70 Prozent der Vermögensungleichheit im Land. Das wiederum schürt soziale Spannungen und birgt erhebliches Konfliktpotenzial. Auch Euronews weist auf die extrem niedrig gewordene Auszugsquote aus dem Elternhaus in Metropolen wie Madrid hin.

  • Steigende Wohnkosten dämpfen den Konsum und damit das Wirtschaftswachstum.
  • Ein angespannter Wohnungsmarkt behindert die Arbeitskräftemobilität.
  • Die Gefahr sozialer Unruhen nimmt zu, da die Grundbedürfnisse zahlreicher Bürger nicht mehr erfüllt werden können.

Der Wirtschaftsdruck verschärft sich zudem durch die Tatsache, dass viele Immobilien vorrangig als Kapitalanlage gehalten oder von internationalen Investoren erworben werden, während weniger als zwei Prozent aller Wohnungen dem Staat gehören.

Beispielregionen und aktuelle Initiativen

Besonders betroffen sind touristische Hochburgen wie Barcelona, Valencia und Málaga. In Barcelona gibt es über 10.000 registrierte Ferienwohnungen, zahlreiche weitere seien illegal. Die Stadt plant, verstärkt gegen die Zweckentfremdung vorzugehen und mehr Wohnraum zurückzugewinnen. In Städten wie Javea, Moraira und Denia (Costa Blanca) ist die Zahl der zum Verkauf stehenden Immobilien 2024 um 15 Prozent gesunken – der stärkste Rückgang der letzten Jahre.

Positiv zu vermerken bleibt, dass die spanische Regierung ihre Fehler aus der Zeit vor der Immobilienblase erkannt hat und heute proaktiver reguliert. Der FuW Morgen-Report hebt hervor, dass Marktakteure und Politik gleichermaßen ein Interesse an mehr Transparenz und Zugänglichkeit entwickelt haben.

Die Analyse zeigt, dass Spaniens Wohnungsmarkt an einem entscheidenden Wendepunkt steht. Eine verstärkte Regulierung, mehr sozialer Wohnungsbau und gezielte Maßnahmen gegen Spekulation könnten mittelfristig Entspannung bringen. Vorteile wären massiv: mehr soziale Gerechtigkeit, ein dynamischerer Arbeitsmarkt und höhere Lebensqualität. Nachteilig wirken kurzfristig die wirtschaftlichen Verluste bei spekulativen Investoren sowie potenziell sinkende Immobilienwerte. Für die Zukunft wird erwartet, dass sich die Balance zwischen internationalem Interesse, lokaler Versorgung und sozialer Gerechtigkeit nur über strengere Regelungen – etwa durch Mietpreisbremsen und gezielte Besteuerung ungenutzter Immobilien – und langfristige Investitionen in Infrastrukturen wiederherstellen lässt. Wenn diese Weichen richtig gestellt werden, profitieren breite Bevölkerungsschichten und die Volkswirtschaft insgesamt – und die Hoffnung besteht, dass Wohnen in Spanien wieder für alle zugänglich wird.

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