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Neuer Cybersecurity-Standard für Industrie 4.0: Schutzmaßnahme für kritische IoT-Infrastrukturen nimmt Fahrt auf

Neuer Cybersecurity-Standard für Industrie 4.0: Schutzmaßnahme für kritische IoT-Infrastrukturen nimmt Fahrt auf

Mit dem anstehenden Pflichtstart für neue Cybersicherheitsstandards ab August 2025 stellen sich zentrale Fragen: Sind europäische Industrien und die Betreiber kritischer Infrastrukturen ausreichend vorbereitet, und wie groß sind die Herausforderungen angesichts immer komplexerer IoT-Landschaften? Die EU führte jüngst mit EN 18031-2 und EN 18031-3 neue Normen ein, die insbesondere für Industrieunternehmen grundlegende Veränderungen bedeuten. Bereits jetzt berichten Branchenvertreter von kurzfristigen Kraftanstrengungen und erheblichen Investitionen, etwa zur systematischen Absicherung der Steuerungsebenen und Produktionsanlagen durch Cyberhygiene-Maßnahmen wie Zero Trust, automatisierte Patches und vollständige Software-Stücklisten.

Strenge Regulierung: EU startet neuen Cybersicherheitsrahmen für das IoT-Zeitalter

Ab 1. August 2025 müssen alle neuen, funkvernetzten Geräte, die auf den europäischen Markt kommen, die verschärften IT-Sicherheitsvorgaben erfüllen. Der neue Standard verpflichtet Hersteller, für jedes Gerät ein angemessenes Schutzniveau nachzuweisen und detailliert zu dokumentieren. Entscheidungsbäume in den Normen EN 18031-2 und EN 18031-3 helfen zu klären, ob Produkte unter die neuen Vorschriften fallen – beispielsweise ist ein vernetztes Steuerungsmodul in einer Smart Factory betroffen, während ein einfaches, nicht-verbundenes Handgerät ausgenommen ist.

Besonders relevant ist der Artikel 3.3 E, der Geräte mit personenbezogener Datenverarbeitung einschließt. Selbst Smarthome-Komponenten wie Lichtschalter-Apps sind damit sicherheitsrelevant, sofern sie Benutzerdaten speichern oder verarbeiten. Unternehmen müssen Schutzmaßnahmen nachweisen, entsprechende Sicherheitsarchitekturen implementieren und laufend prüfen (Quelle).

Zero Trust, starke Authentifizierung & SBOM: Neue Mindestanforderungen

Branchenexperten wie Yubico und ONEKEY betonen, dass herkömmliche Authentifizierungsmethoden (z. B. SMS-Codes) für Industrie und kritische Infrastrukturen nicht mehr ausreichen. Moderne Sicherheitsstandards setzen auf Zero Trust-Ansätze, Multifaktor-Authentifizierung mit FIDO2/WebAuthn sowie hochwertige zentrale Identitätsprogramme – Technologien, die bereits heute im Energiesektor großflächig eingeführt werden. Der Trend geht klar dahin,

  • Identitäten über physische Token, Passkeys oder Smart Cards durchzusetzen,
  • legacy-anfällige Netzwerke abzusichern und zu isolieren,
  • und administrative Zugänge streng zu segmentieren (Quelle).

Ein weiteres Schlüsselelement ist die lückenlose Software Bill of Materials (SBOM) in Produktionsanlagen. Nach Untersuchungen von ONEKEY gibt es massive Defizite: Nur rund ein Viertel der befragten Unternehmen besitzen eine vollständige SBOM. Der Rest hat entweder überhaupt keine Übersicht über eingesetzte Softwarekomponenten oder prüft diese nur sporadisch. Dabei entstehen kritische Einfallstore, etwa durch veraltete Firmware in CNC-Maschinen, die Angreifern den direkten Zugang zu Produktionsnetzwerken eröffnen könnten (Quelle).

Technologische Trends: KI, Automatisierung und Secure-by-Design

Neue Cybersecurity-Standards forcieren neben organisatorischen auch technologische Innovationen. Laut aktuellen Branchenanalysen bestimmen folgende Trends das Geschehen in 2025:

  • KI-gestütztes Threat Hunting: Künstliche Intelligenz analysiert riesige Log-Datenmengen aus Geräten, Netzwerken und Industrieanwendungen in Echtzeit, erkennt Anomalien und unterstützt Security Teams beim Aufspüren komplexer Angriffe. Dies reduziert Reaktionszeiten und spart Millionen im Schadensfall.
  • Automatisiertes Patch-Management: Die Schwachstellenschließung erfolgt zunehmend automatisiert im gesamten Anlagenbestand – eine Reaktion darauf, dass ungepatchte Systeme einer der häufigsten Angriffsvektoren bleiben.
  • „Secure by Design“: Sicherheitsvorgaben sind fester Bestandteil jeder Entwicklungsstufe neuer Geräte und Anwendungen. Vom ersten Code-Commit bis zur Inbetriebnahme werden Schwachstellen früh erkannt und Prozesse entlang der Lieferkette resilienter gestaltet.

Viele Unternehmen verankern dafür Sicherheit als Grundprinzip – ein Wandel, der langfristig zu resilienteren Industrie-Ökosystemen führen soll.

Anwendungsbeispiele und Herausforderungen in der Praxis

Gerade die industrielle Fertigung, Energieversorger und Betreiber kritischer Infrastrukturen stehen im Fokus der neuen Regulierung. Als konkretes Beispiel nannte ONEKEY die Manipulation vernetzter CNC-Maschinen durch ungeschützte Firmware, was die Produktion aus der Ferne sabotieren könnte. Ähnliche Risiken bestehen in der Gebäudetechnik, Logistik und Versorgung – etwa, wenn Klimaanlagen, Pumpen oder Roboter mit unsicheren Software-Modulen betrieben werden.

Doch der Umstieg ist herausfordernd: Viele Unternehmen verfügen noch nicht über automatisierte Werkzeuge zur Software-Inventarisierung und Absicherung. Zudem zeigen sich Unterschiede beim Reifegrad – je nach Branche, Unternehmensgröße und Land. Besonders kleinere Betriebe und Zulieferer sehen sich hohen Investitionen und regulatorischer Unsicherheit gegenüber.

Diskussion: Chancen und Limitationen des neuen Cybersecurity-Standards

Die Einführung der neuen Normen für IoT- und Industrieumgebungen bringt zahlreiche Vorteile:

  • Erhöhte Resilienz und Ausfallsicherheit: Kritische Infrastrukturen werden besser vor Sabotage, Spionage und Cybercrime geschützt.
  • Wettbewerbsvorteil durch Compliance: Zertifizierte Unternehmen verschaffen sich Zugang zu Märkten und stärken das Vertrauen ihrer Kunden.
  • Langfristige Kosteneinsparungen: Frühe Fehlererkennung und -behebung reduziert wirtschaftliche Schäden und vereinfacht Prüfprozesse.

Es bestehen aber auch Herausforderungen:

  • Hohe Anfangsinvestitionen in Technik, Know-how und Strukturwandel.
  • Unterschiedliche Umsetzungsgeschwindigkeit (Stadt-Land-Gefälle, Groß- versus Kleinunternehmen).
  • Risiko von Altlasten: Ältere Anlagen lassen sich oft nur schwer an neue Sicherheitsanforderungen anpassen.

Mit der Verschärfung internationaler Cybersecurity-Richtlinien rückt die vollständige Absicherung von IoT- und Industrieanlagen in greifbare Nähe. Für einen nachhaltigen und flächendeckenden Schutz benötigen Unternehmen jetzt investitionsbereite Führung, kompetenzbasierte Teams und die Bereitschaft, ihre OT- und IT-Umgebungen zum integralen Bestandteil einer Zero-Trust-Architektur zu erheben. Die Zukunft gehört einer adaptiven Cyberabwehr – mit Chancen für Innovation und Effizienzsteigerung, aber auch großem Handlungsdruck für Nachzügler. Von einer sicheren Industrie 4.0 profitieren nicht nur Unternehmen, sondern auch Verbraucher, die sich auf stabile Lieferketten und resiliente Infrastrukturen verlassen können.

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