×

IT-Sicherheit: Europäische Standards als Fortschrittsmotor – Unabhängigkeit und Resilienz im digitalen Sektor

IT-Sicherheit: Europäische Standards als Fortschrittsmotor – Unabhängigkeit und Resilienz im digitalen Sektor

Die Cybersicherheitslage in Europa wird immer komplexer. Während Angriffe und Abhängigkeiten von nicht-europäischen Anbietern rasant zunehmen, setzen EU-Institutionen und Mitgliedsstaaten auf neue Standards, Regulierungen und Kontrollmechanismen. Doch wie können einheitliche europäische IT-Sicherheitsstandards Abhängigkeiten von Drittstaaten verringern? Und was bedeutet das für Unternehmen und Verbraucher?

EU setzt auf Regulierung und Harmonisierung

Die Europäische Union hat mehrere Gesetzesinitiativen angestoßen, die gezielt die digitale Souveränität stärken sollen. Mit dem Inkrafttreten des EU-weiten General Product Safety Regulation (GPSR) sowie der DORA-Verordnung (Digital Operational Resilience Act) wird 2025 erstmals ein harmonisierter Rahmen für Cybersicherheit im Finanzsektor etabliert [Technology Law Dispatch]. DORA verpflichtet Banken, Investmentfirmen und weitere Finanzdienstleister, ihre technischen Systeme durch spezifizierte Maßnahmen gegen Cyberangriffe abzusichern.

Ein weiterer Meilenstein ist die NIS-2-Richtlinie, durch die europaweit zusammenhängende Mindeststandards für die Cybersicherheit kritischer Infrastrukturen, inklusive Energieversorgung, Gesundheit und Transport, festgelegt werden [Infosecurity Magazine]. Zusätzlich tritt die Radio Equipment Directive (RED) ab August 2025 mit verschärften Anforderungen für vernetzte Geräte in Kraft – vom IoT-Spielzeug bis zum intelligenten Medizingerät [Verkotan].

Neue Standards – technische und regulatorische Innovationen

Besonders der Bereich Cybersecurity-Standards gewinnt an Profil: Mit EN 18031 wurden abgestufte Sicherheitsanforderungen etwa für internetfähige Geräte, Geräte mit sensiblen Daten und Finanztransaktionsgeräte eingeführt. Diese Maßnahmen setzen europaweite Mindeststandards und zwingen Hersteller, proaktiv auf das Sicherheitsniveau ihrer Hardware und Software zu achten.

  • Verpflichtende Prüfungen und Zertifizierungen auf Basis gemeinsamer Kriterien (EUCC) fördern die gegenseitige Anerkennung und verhindern, dass unsichere Produkte aus Drittstaaten unkontrolliert auf den Markt gelangen.
  • Schutz persönlicher Daten und Identitäten wird zur Standardanforderung, wodurch vor allem Cloud-Plattformen und digitale Gesundheitsanwendungen betroffen sind.

Zugleich rückt die Rolle europäischer Standardisierungsorganisationen wie ETSI, CEN und CENELEC in den Fokus. Deren Zusammenarbeit mit ENISA (EU Agency for Cybersecurity) und der Wirtschaft wird als Schlüssel gesehen, um praxisnahe und international wettbewerbsfähige Standards zu etablieren [Spiegel].

Reduzierung von Abhängigkeiten – Chancen und Herausforderungen

Im Zentrum aktueller Debatten steht die Frage, wie man die dominante Marktstellung globaler (vor allem US-amerikanischer und chinesischer) IT-Konzerne abschwächen kann. Der Aufbau eines selbsttragenden „digitalen Binnenmarkts“ – gestützt auf eigene Technologieplattformen, Hardwareproduktion und Sicherheitszertifikate – soll Risiken verringern und Innovationsspielräume öffnen. Dabei sind folgende Aspekte maßgeblich:

  • Förderung europäischer Hersteller, etwa durch Bevorzugung zertifizierter Hard- und Software in öffentlichen Ausschreibungen.
  • Datenresidenz und Datenschutz: Durch lokal gehostete Cloud-Dienste lassen sich sensible Daten nach EU-Recht absichern, was in vielen Branchen bereits verpflichtend ist.
  • Resilienzsteigerung: Einheitliche Security-by-Design-Prinzipien machen Lieferketten und Produktlandschaften weniger störanfällig.

Die neue Gesetzgebung sieht außerdem vor, dass für wesentliche digitale Dienste keine rein außereuropäischen Anbieter mehr eingesetzt werden dürfen, wenn gleichwertige europäische Alternativen verfügbar sind. Im Gesundheitssektor setzen daher mehrere Staaten bereits auf Cloudlösungen europäischer Anbieter beziehungsweise Entwicklungspartnerschaften.

Aktuelle Fallstudien und Statistiken

Ein Beispiel: Im Finanzsektor zeigt die Umsetzung von DORA mit Monitoring, Simulationen und regelmäßigen Audits direkte Wirkung – die Zahl gemeldeter Sicherheitsvorfälle mit potenzieller Systemrelevanz ist nachweislich gesunken. Parallel dazu entstehen durch die gemeinsame Entwicklung von europäischen Zertifizierungsstandards neue Wirtschaftszweige, etwa im Bereich Penetrationstests oder digitaler Identitätsdienste.

Eine Statistik aus der Marktüberwachung: 2024 wurden erstmalig rund 15 % der in Europa verkauften IoT-Geräte nach neuen Sicherheitsstandards geprüft, bis 2026 soll dieser Anteil auf 40 % steigen.

Kritische Stimmen und offene Fragen

Trotz zahlreicher Vorteile warnen Experten vor zu rascher und komplexer Regulierungswut. Es besteht die Gefahr, dass kleine und mittlere Unternehmen (KMU) Schwierigkeiten bekommen, mit dem Zertifizierungs- und Dokumentationsaufwand mitzuhalten, und dass der europäische Markt an Innovationsgeschwindigkeit einbüßt. Auch könnten neue Standards als Handelshemmnis wahrgenommen werden, wenn internationale Kompatibilität nicht gewährleistet ist.

  • Die Relevanz „offener Standards“ wird betont, um Best-Practice-Sharing und internationale Kooperationen zu ermöglichen.
  • Die Industrie fordert transparente, machbare Übergangsfristen und praxisgerechte Zertifizierungsmodelle.

Gleichzeitig bleibt die Herausforderung, im globalen Technologiewettbewerb nicht ins Hintertreffen zu geraten – insbesondere in Feldern wie Künstliche Intelligenz oder Quantencomputing.

Die Konzentration auf europäische IT-Sicherheitsstandards markiert einen Wendepunkt: Vorteile ergeben sich durch stärkere Resilienz, eine höhere Kontrolle über kritische Infrastrukturen und die Förderung lokaler Anbieter. Dabei profitieren Verbraucher von einer verbesserten Sicherheit und Unternehmen von rechtlicher Klarheit sowie potenziell geschützteren Geschäftsmodellen. Neue Geschäftsfelder im Bereich Security-Services, Testing und IT-Consulting entstehen. Die Kehrseite: Die Vielfalt und das Innovationstempo könnten leiden, insbesondere wenn Regularien praxisfern ausgestaltet werden. In der Zukunft ist zu erwarten, dass sich der Trend zur europäischen Standardisierung fortsetzt – mit dem Ziel, digitale Souveränität zu sichern, ohne den Anschluss an globale Technologieentwicklungen zu verlieren.

Kommentar veröffentlichen