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Internationale Verhandlungen in Genf: Schicksalsmoment für ein globales Plastikabkommen

Internationale Verhandlungen in Genf: Schicksalsmoment für ein globales Plastikabkommen

Soll ein neues Abkommen die globale Plastikflut wirksam stoppen – oder bleibt es beim Minimalkonsens? In Genf treffen sich seit dem 5. August 2025 Delegierte aus über 170 Ländern zu einer historischen, aber höchst kontroversen Verhandlungsrunde. Mehr als 413 Millionen Tonnen Plastik werden jedes Jahr produziert, eine kaum fassbare Menge, von der laut Schätzungen nur neun Prozent recycelt werden. Die Folgen reichen von vermüllten Weltmeeren bis hin zu nachweisbarem Mikroplastik im menschlichen Körper. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Kann die globale Staatengemeinschaft in Genf den Durchbruch schaffen, oder droht ein Scheitern an nationalen Interessen und wirtschaftlichen Zwängen?

Die letzte Chance für ein wirksames Plastikabkommen?

Die Genfer Verhandlungsrunde (INC-5.2) gilt laut Experten des WWF als finale und entscheidende: Jetzt geht es um nicht weniger als die Frage, ob Staaten ein Abkommen akzeptieren, das weltweit verbindliche Regeln zur Eindämmung der Plastikproduktion und -verschmutzung schafft. Deutschlands WWF-Experte Florian Titze warnt explizit vor verwässerten Kompromissen, da diese lediglich dazu führen würden, dass das Plastikproblem über Jahrzehnte weiter anwächst. Gleichzeitig fordern NGOs und Wissenschaftler konkrete und ambitionierte Zielsetzungen statt einer reinen Rahmenkonvention.

Zentrale Konfliktlinien: Produktion, Chemikalien, Finanzierung

Hinter den Kulissen ist klar, was die Umsetzung erschwert. Erstens: Sollen verbindliche Limits für die Plastikproduktion gelten oder geht es lediglich um einen besseren Umgang mit existierendem Müll? Insbesondere rohstoffreiche und produzierende Länder sträuben sich gegen harte Caps, während Entwicklungsländer finanzielle Hilfe zum Aufbau von Abfallinfrastruktur fordern.

  • Produktionsbegrenzung: Eine Senkung der Neuproduktion hätte enorme Auswirkungen auf die petrochemische Industrie und auf Exporteure von Rohöl und Gas.
  • Gefährlichkeit und Gesundheit: Ein weiterer Streitpunkt ist das Management gesundheitsgefährdender Chemikalien und Produkte, wie eine Analyse zeigt.
  • Finanzierung: Wie werden Entwicklungsländer finanziell und technisch unterstützt? Viele können strikte Regeln ohne externe Hilfe nicht umsetzen.

Staaten wie die Schweiz setzen sich laut offizieller Mitteilung für ein umsetzbares und wirksames Abkommen ein, warnen aber ebenso vor den Herausforderungen, weltweit einheitliche Regeln zu definieren.

Stimmen aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft

Die weltweite Plastikproduktion wird nach Schätzungen diverser Studien ohne drastisches Gegensteuern in den kommenden 20 Jahren vermutlich verdoppelt. Für viele Unternehmen, insbesondere im Bereich Konsumgüter, bedeutet dies eine Neubewertung bestehender Geschäftsmodelle. Während einige Vorreiter auf Recycling und kreislaufbasierte Produktionsweisen setzen, fürchten andere vor allem hohe Umstellungskosten. Die Umweltverbände warnen in Genf insbesondere vor dem starken Einfluss der „fossilen Lobby“ sowie vor einem Abkommen, das am Ende auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner basiert.

Was passiert bei einem Scheitern?

Sollte in Genf kein Durchbruch erzielt werden, rechnen viele Beobachter lediglich mit einer vagen Rahmenkonvention. Diese müsste später nachverhandelt und konkretisiert werden – keine Perspektive, die die rasante Ausweitung der Plastikverschmutzung stoppen könnte. Die Entscheidung läuft auf einen Showdown zwischen ambitionierten Staaten, Blockierern und Einflussgruppen hinaus.

Was steht auf dem Spiel? Chancen, Risiken, Zukunftsaussichten

  • Vorteile eines wirksamen Abkommens: Globale Regeln könnten nicht nur die Umwelt und Gesundheit schützen, sondern auch Innovationen in der Wirtschaft anstoßen. Unternehmen hätten Planungssicherheit und könnten in nachhaltige Lösungen investieren. Entwicklungsländer bekämen die Chance, ihre Infrastruktur auszubauen und damit auch grüne Jobs zu schaffen.
  • Nachteile und Risiken: Ambitionierte Regeln könnten wirtschaftliche Anpassungskosten für Plastikhersteller und Konsumgüterkonzerne nach sich ziehen. Einzelne Länder könnten versuchen, sich globale Verpflichtungen durch Ausnahmeregelungen vom Leibe zu halten.
  • Was ist zu erwarten? Viele Expertinnen und Experten halten ein wirklich verbindliches, scharfes Abkommen derzeit für schwierig erreichbar. Wahrscheinlicher ist eine Rahmenvereinbarung, die Spielraum für weitere Verhandlungen lässt. Dennoch: Die Größe des Problems und der öffentliche Druck nehmen zu. Wirtschaft, Politik und Gesellschaft werden langfristig zum Umdenken gezwungen.

Die Genfer Verhandlungen sind ein Lackmustest für den internationalen Willen, Umwelt- und Wirtschaftsinteressen in echten Einklang zu bringen. Ein ambitioniertes Abkommen könnte neue Möglichkeiten für Kreislaufwirtschaft und Innovation eröffnen. Misslingt die Einigung oder bleibt sie zu schwach, sind die Folgen für Natur, Menschen und künftige Generationen kaum absehbar. So oder so: Plastikkonsum und -produktion bleiben eine der drängendsten globalen Herausforderungen unserer Zeit.

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