Bundesverfassungsgericht vor Entscheidung: Mindestbesteuerung bei Definitiveffekten auf dem Prüfstand
Kommt 2025 die klärende Antwort aus Karlsruhe zur Mindestbesteuerung bei Definitiveffekten? Steuerabteilungen und CFOs warten seit Jahren auf Rechtssicherheit – nicht zuletzt, weil milliardenschwere Verlustvorträge und M&A-Planungen davon abhängen. In den Terminvorschauen für den 11. August 2025 wird die Aufmerksamkeit der Märkte bereits auf rechtspolitische Weichenstellungen gelenkt, die für Unternehmensbewertungen und Steuerstrategien relevant sind, auch wenn die konkreten Verfahren kurzfristig disponiert werden können (Tagesvorschauen, Onvista, n-tv).
Was verhandelt wird – und warum es so wichtig ist
Im Kern geht es um die Frage, ob die deutsche Mindestbesteuerung – die Verluste nur zeitlich gestreckt und betragsbegrenzt mit Gewinnen verrechnen lässt – verfassungswidrig wird, wenn dadurch ein Definitiveffekt eintritt, also Verlustvorträge endgültig untergehen (z. B. bei Insolvenz, Umwandlung oder Tod des Steuerpflichtigen). Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Mindestbesteuerung grundsätzlich gebilligt, aber in Konstellationen mit Definitiveffekt Zweifel an der Verfassungskonformität geäußert und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angerufen[1].
Die BFH-Linie: Grundkonzeption ja, Definitiveffekte nein
Nach der BFH-Rechtsprechung ist die zeitliche Streckung des Verlustvortrags als solche zulässig, solange Verluste überhaupt berücksichtigt werden; verfassungsrechtlich problematisch wird es dort, wo die Regelung den Verlustabzug gänzlich ausschließt und eine leistungsfähigkeitswidrige Substanzbesteuerung auslöst[2].
Besonders kritisch sieht der BFH Fälle, in denen Aufwand und Ertrag „aus demselben Rechtsgrund“ resultieren (etwa Teilwertabschreibung und spätere Wertaufholung), der Verlust aber aufgrund der Mindestbesteuerung nicht mehr genutzt werden kann – Verletzung des Nettoprinzips und des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG)[2].
Verfahrensstand 2025: Entscheidung angekündigt
Das BVerfG hat die Verfahren zur Mindestbesteuerung (§ 10d Abs. 2 EStG, § 10a S. 2 GewStG) in seine Jahresvorschau 2025 aufgenommen und strebt eine Entscheidung im laufenden Jahr an[4].
Praxisfälle mit Definitiveffekt – mehr als nur Theorie
- Abwicklungs-/Insolvenzszenarien: Wenn in der Liquidation Gewinne (Abwicklungsbesteuerung) anfallen, Verlustvorträge aber wegen Mindestbesteuerung nicht mehr realisiert werden, droht ein endgültiger Verlustuntergang. Finanzgerichte haben in solchen Konstellationen die Mindestbesteuerung bereits eingeschränkt[5].
- Strukturwandel/Umwandlungen: Bei Verschmelzungen oder Spaltungen können Verlustverrechnungssperren und die Mindestbesteuerung kumulativ wirken – der BFH benennt dies ausdrücklich als Problemzone der Definitiveffekte[2].
- Natürliche Personen: Beim Tod können persönliche Verlustvorträge untergehen; die BFH-Vorlage nennt solche Endfälle als typische Definitiveffekte[3].
Politische Flankierung: Gesetzgeber hat bereits reagiert – temporär
Mit dem Wachstumschancengesetz wurde eine deutliche Entlastung skizziert: Die Mindestbesteuerung sollte für 2024–2027 ausgesetzt werden; ab 2028 war eine Wiedereinführung mit deutlich erhöhtem Sockelbetrag (10 Mio. Euro, Ehegatten 20 Mio. Euro) vorgesehen[3].
Diese temporäre Aussetzung nimmt Druck aus der Anwenderpraxis, beseitigt aber nicht die verfassungsrechtliche Kernfrage zu Definitiveffekten, die weiterhin auf die Entscheidung des BVerfG wartet[3][4].
Drei neue Wissenspunkte mit Blick auf 2025
- Verfahrenspriorität: Die Aufnahme in die BVerfG-Jahresvorschau 2025 signalisiert Entscheidungsreife – ein Hinweis auf absehbare Leitplanken für Verlustverrechnung in Krisen- und Sondersituationen[4].
- Interplay mit Unternehmensteuerreformzielen: Die politische Entschärfung (Suspendierung, höherer Sockel) adressiert Liquidität und Investitionsanreize, löst aber nur die „Masse“-Probleme; die verfassungsrechtliche Klärung bleibt für Ausnahmefälle mit endgültigem Verlustuntergang zentral[3][4].
- Rechtsschutz in der Zwischenzeit: Finanzgerichte haben punktuell zugunsten der Steuerpflichtigen korrigiert, wenn die Mindestbesteuerung in der Abwicklung zu Definitiveffekten geführt hätte – ein Signal, dass Einzelfallprüfung und Einspruchsmanagement weiterhin lohnen[5].
Auswirkungen auf Unternehmen und Transaktionen
Für Konzerne mit hohen Verlustvorträgen, distressed Assets oder geplanten Umstrukturierungen ist die Frage der Definitiveffekte materiell: Sie beeinflusst Kaufpreise, Deal-Strukturen und Debt-Covenants. Der BFH hat bereits betont, dass die Mindestbesteuerung den „Kernbereich“ der Verlustausgleichsfähigkeit nicht verletzen darf – ein Punkt, der in Due-Diligence-Checklisten zunehmend Beachtung findet[2].
In der M&A-Praxis kann eine verfassungskonforme Korrektur der Mindestbesteuerung bei Definitiveffekten zu einer höheren Nutzung von Verlustvorträgen führen, was Sanierungen wirtschaftlich erleichtern und Insolvenzen verkürzen könnte[2][5].
Fallbeispiele aus der Rechtsprechung
- Wertaufholung vs. Mindestbesteuerung: Wenn eine frühere Teilwertabschreibung später gewinnerhöhend rückgängig gemacht wird, darf der damit korrespondierende Verlust nicht endgültig „verloren“ gehen – hier sieht der BFH die Schwelle zur Gleichheitswidrigkeit überschritten[2].
- Abwicklungsbesteuerung: Das FG Düsseldorf hat entschieden, dass in der Abwicklung keine Mindestbesteuerung greifen darf, wenn dies zu Definitivwirkungen führt – ein klares Praxiszeichen gegen leistungsfähigkeitswidrige Besteuerung[5].
Was jetzt beobachtet werden sollte
- BVerfG-Entscheidungstermin und Tenor: Ob Karlsruhe nur enge Konstellationen (Ursachenidentität von Aufwand/Ertrag) adressiert oder eine breitere Leitlinie formuliert, ist ausschlaggebend für die Breitenwirkung[2][4].
- Gesetzgeberische Nachsteuerung: Je nach Tenor sind Anpassungen in § 10d EStG/§ 10a GewStG denkbar – etwa Safe-Harbors oder Ausnahmevorschriften für Abwicklung/Insolvenz[3][4].
- Übergangs- und Anwendungsfragen: Rückwirkung, bestandskräftige Bescheide und offene Jahre bestimmen, wie schnell Liquidität tatsächlich ankommt[4].
Fazit, Einordnung und Ausblick: Vorteile einer Korrektur wären klare Rechtssicherheit, Vermeidung von Substanzbesteuerung in Krisensituationen und bessere Sanierungschancen. Für Unternehmen bedeutet das: höhere Planbarkeit, verbesserte Cashflows in der Abwicklung und ggf. bessere Finanzierungskonditionen[2][5]. Nachteile können in geringeren kurzfristigen Steuereinnahmen und komplexeren Abgrenzungsfragen liegen, falls nur eng umschriebene Ausnahmefälle geschaffen werden; zudem steigt der Prüfaufwand in der Betriebsprüfung[3][4]. In Zukunft ist – je nach BVerfG-Tenor – eine gezielte Entschärfung der Mindestbesteuerung bei definitiven Verlustuntergängen realistisch. Wirtschaft und Beschäftigung profitieren, wenn Sanierungen erleichtert und „tote“ Verlustvorträge reaktiviert werden können; erhofft wird zudem ein Investitionsimpuls, weil Verlustnutzungen verlässlich kalkulierbar werden[2][3][4][5]. Unternehmen sollten aktuell Einspruch offenhalten, Definitiveffekt-Fälle dokumentieren und Transaktionen so strukturieren, dass die Ursachenidentität von Aufwand/Ertrag erkennbar bleibt, um im Fall positiver Rechtsprechung optimal zu profitieren.
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